HERAUSGEGEBEN VON GERALD BRAUNBERGER, JÜRGEN KAUBE, CARSTEN KNOP, BERTHOLD KOHLER

Show Down

Die Fußballfans feiern, die Funktionäre streiten über die Zukunft.

Ein scharfer Kontrast tut sich auf zwischen den Szenen, die sich am vergangenen Mittwoch in einem Frankfurter Flughafenhotel beobachten ließen, und der betörenden Fußballdramatik in der ersten und zweiten Liga. In den Stadien scheint zum Showdown die Sonne, kein Bundesligaspiel ist bedeutungslos, und über allem schweben die Meisterträume von Borussia Dortmund. Der Abstiegskampf ist ein Thriller, der Hamburger SV könnte nach fünf Jahren ins Oberhaus zurückkehren, ein zuckersüßes Wochenende war der Fußballnation schon vor dem Anpfiff der ersten Partie sicher. Und dennoch wirkten die Gesichter der einflussreichsten Bundesligafunktionäre 72 Stunden vor dem sportlichen Showdown ernst und grau.

Oliver Leki vom SC Freiburg, Axel Hellmann von Eintracht Frankfurt, die Interimsgeschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL), sowie Präsidiumssprecher Hans-Joachim Watzke von Borussia Dortmund sahen aus wie Politiker, die das Volk über einen Katastrophenfall in Kenntnis setzen müssen. Sie waren ausgebremst worden bei ihrem Vorhaben, einen Milliardenbetrag aus der Private-Equity-Branche in die erste und zweite Liga einzuführen, mit dem das gemeinsame Geschäftsmodell hätte modernisiert werden können. „Manchmal ist das Leben auch einfach“, sagte Watzke trocken. „Das ist Demokratie.“ Seine Miene ließ keinen Zweifel daran, dass ihn das ablehnende Votum der 36 Erst- und Zweitligavereine verärgert, ja getroffen hatte.

Ein bedrückendes Bild der Feindseligkeiten

Womöglich kann er sich mit der Meisterschale trösten, die Annahme, dass sein Leben als Fußballfunktionär fortan „einfach“ werden könnte, wird sich aber als Fehleinschätzung erweisen. Schließlich ist die ganze Bedrohungslage, in die der nationale Klubfußball sich hineinmanö­vriert hat, entstanden, weil etliche Beteiligte die Vielschichtigkeit der Zukunftsplanung unterschätzt haben. „Für mich ist das eine Niederlage der Zentralvermarktung“, sagte Hellmann und drohte damit offen kleineren Klubs, die davon profitieren, dass das Geld innerhalb der Ligen verteilt wird. Aus ihrem emotionalen Erregungszustand heraus hantierten die gescheiterten Funktionäre mit Spaltungsszenarien. „Es sollte in der nächsten Zeit niemand mehr mit Solidaritätsthemen kommen“, sagte Watzke. Hinter vorgehaltener Hand wurde Gegnern des Deals gar das intellektuelle Vermögen abgesprochen, den Plan mit dem Investor zu durchdringen.

Nachdem der Deutsche Fußball-Bund (DFB) seit Jahren vergeblich versucht hat, sich zu modernisieren, und der FC Bayern tief zerrüttet ist, gibt mit der DFL nun auch das dritte Machtzentrum des deutschen Fußballs ein bedrückendes Bild der Feindseligkeiten ab. In all diesen Organisationen formiert sich reflexartig Widerstand, sobald versucht wird, sie zu erneuern. Die einen sprechen von „deutscher Verhinderungspolitik“, andere monieren „patriarchale Strukturen“. „Die DFL ist Stand heute vom Prinzip her perspektivlos“, sagte Rüdiger Fritsch, der Präsident von Darmstadt 98. „In der Pflicht, Alternativen zu entwickeln, sind jetzt die Wortführer der Kritiker, die das vorgestellte Finanzierungsmodell abgelehnt haben.“ Denn die Ligen aus Spanien und Frankreich haben ihre Digitalisierungsprojekte bereits mithilfe des Private-Equity-Unternehmens CVC angeschoben, das erhöht den Zeitdruck.

Grundsätzlich hatte Hellmann, der im Hauptberuf Vorstandssprecher bei Eintracht Frankfurt ist, nämlich „einen absoluten Konsens gespürt, dass es einen Investitionsbedarf gibt“, sagte er am Mittwoch. „Das hat keiner kritisiert, auch nicht diejenigen, die heute nicht zugestimmt haben.“ Aber viele fühlten sich letztlich nicht ausreichend informiert.

Der deutsche Profifußball ist bunt

Außenstehende konnten Anfang Mai davon einen guten Eindruck gewinnen, als Hellmann und Watzke sich einer Diskussion mit den Fans stellten, die wochenlang mit Dutzenden Bannern auf der Dortmunder Südtribüne gegen einen Investoreneinstieg protestiert hatten. Die Atmosphäre war konzentriert, exzellent vorbereitete Leute formulierten all die Fragen und Vorbehalte, die auch viele Klubvertreter bewegten. Hellmann wies auf seine Vergangenheit in der Fankurve von Eintracht Frankfurt hin, Watzke berichtete von guten Erfahrungen mit Private-Equity-Unternehmen während der Finanzkrise beim BVB zu Beginn des Jahrtausends. Aber vieles blieb unkonkret. Mehr als Erklärungen zur Grundidee und das Versprechen, keine zusätzlichen Anstoßzeiten einzuführen, blieb nicht von dieser Veranstaltung. Der Verdacht, dass am Ende bei der Geldverteilung zuallererst die Interessen von sechs bis acht Großklubs bedient werden, konnte nie entkräftet werden. Und das verunsicherte nicht nur die Fans.

Der deutsche Profifußball ist bunt. Es gibt global agierende Fußballkonzerne in der Bundesliga, Vereine, die wie Familienunternehmen geführt werden, mittelgroße Klubs mit internationalen Ambitionen und solche, die vor allen Dingen lokal verwurzelt sind. Vielleicht existieren sogar Funktionäre, die entgegen ihrer öffentlichen Aussagen mit der Idee von einer internationalen Super League sympathisieren. In jedem Fall sind viele Klubs von Fans beeinflusst, die nicht nur jede Woche in den Kurven stehen, sondern als Teil der Ultrabewegung ihren ganzen Lebensstil mit Fußball verbinden. Die große Faszination für Fußball erreicht fast alle Ecken der Gesellschaft, und alle profitieren von dieser Kraft. Zugleich erzeugt diese Vielfalt jedoch Streit. Auch deshalb wollten Hellmann, Leki und Watzke das Investorenprojekt nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Rücken weiterverfolgen.

Der Plan sah vor, für einen Zeitraum von zwanzig Jahren 12,5 Prozent der noch zu gründenden DFL-Tochter „DFL MediaCo GmbH & Co. KGaA“, in die die nationalen und internationalen Medienrechte ausgelagert worden wären, abzugeben. Bis zu zwei Milliarden Euro sollten die interessierten Private- Equity-Unternehmen dafür bezahlen, von denen dann 750 Millionen Euro in gemeinschaftliche Entwicklungsprojekte wie eine digitale Abspielplattform zur weltweiten Verbreitung von Bundesligainhalten geflossen wären. Die übrigen bis zu 1,25 Milliarden Euro wären – teilweise zweckgebunden – an die Klubs gegangen. Doch nur 20 der 36 Klubs stimmten zu, elf – darunter fünf Bundesligavereine – waren dagegen, fünf enthielten sich.

„Warum machen wir das alles eigentlich?“

Tatsächlich ist es eine kleine Sensation, dass diese von einer ewigen Gier nach schnellen Millionen getriebene Branche freiwillig auf frische Mittel für die nächsten drei, vier Transferperioden verzichtet. Doch die weiteren Auswirkungen blieben für viele Beteiligte viel zu schemenhaft, was sich schön an zwei Aussagen vom Mittwoch illustrieren lässt, die widersprüchlicher nicht sein könnten: Das ablehnende Votum werde der Wettbewerbsgleichheit schaden und dazu führen, dass „die Schere weiter auseinandergehen wird“, sagte Hellmann. Alexander Wehrle, der Vorstandschef des VfB Stuttgart, der gegen den Investorendeal stimmte, erklärte hingegen, dass der Rechteverkauf „die wirtschaftliche Schere zwischen den Klubs weiter geöffnet“ hätte. Ja, was denn jetzt?

Im Prinzip ist nicht einmal geklärt, ob eine größere Ungleichheit nicht sogar gewollt ist. Denn mehr Geld für die Großklubs aus der Champions League würde den Einkauf namhafter Stars erleichtern, das Niveau an der Spitze heben, Erfolge ermöglichen und den globalen Status der Bundesliga stärken, wovon wiederum alle profitieren würden. Kritiker sagen, damit würde der ohnehin schon sehr ungleiche Wettbewerb weiter beschädigt, die Attraktivität würde weiter leiden und das internationale Interesse eher sinken. An solchen Stellen fehlen Richtungsentscheidungen, sagte Christian Keller, der Sportgeschäftsführer des 1. FC Köln, bereits im Januar in einem F.A.Z.-Interview und fragte: „Wo wollen wir eigentlich hin mit dem deutschen Fußball und der Bundesliga? Was ist unser Ziel als Verbund der 36 Klubs? Warum machen wir das alles eigentlich?“ Er wisse „bis heute nicht, wofür die DFL eigentlich steht“.

Wahrscheinlich ist es unmöglich, die unterschiedlichen Vorstellungen und Interessen in gemeinsame Grundsätze zu gießen, zumal nach der Eskalation der vergangenen Tage. Der neue DFL-Geschäftsführer, der während der Sommerpause gefunden werden soll, wird nicht nur tiefe Gräben schließen, sondern eine tief zerrüttete Branche erneuern müssen. „Wir müssen erst eine klare Strategie entwickeln, gemeinsam und konstruktiv – und dann können wir diese gezielt finanzieren, um unsere klar definierten Ziele zu erreichen“, sagte Oke Göttlich, der Präsident des FC St. Pauli, der zu den engagiertesten Skeptikern gegenüber dem Vorhaben zählt.

Die Menschen sind seit Wochen elektrisiert

Göttlich wird nun gemeinsam mit dem Kölner Christian Keller als Rebellenführer wahrgenommen, der den Zorn des Establishments aushalten muss, obgleich er sagt, es habe durchaus gute Aspekte an dem Investorenplan gegeben. Die müssten jetzt „in einen neuen Prozess“ überführt werden. Das Private-Equity-Modell ist vom Tisch, denkbar ist aber die Aufnahme eines Kredites, mit dem zumindest die gemeinschaftlichen DFL-Projekte wie die Streamingplattform verwirklicht werden könnten. Dass Hans-Joachim Watzke diese Lösung am Mittwoch als „desaströses Zeichen“ bezeichnete und damit drohte, bei einer Fremdfinanzierung von seinen DFL-Ämtern zurückzutreten, weil er sich in seiner ersten Zeit als Geschäftsführer des damals hoch verschuldeten BVB „von Gläubigern demütigen lassen“ musste, wirkte jedoch reichlich destruktiv.

Jetzt sind Mut und Offenheit gegenüber neuen Wegen dringend nötig, denn es geht nicht nur um die Frage der Geldbeschaffung: Sollten Mechanismen gefunden werden, die Lage von populären Klubs wie Schalke und Stuttgart zu verbessern, deren große Fangemeinden durch ihre TV-Abos und volle Stadien mehr zur Attraktivität beitragen als Hoffenheim oder Bochum? Wäre es sinnvoll, die Übermacht der Bayern durch Play-offs einzudämmen? Bekommt die zweite Liga zu viel Geld? Müssen die Spiele anders präsentiert werden, etwa durch Zugänge der Sender in Kabinen und Mannschaftsbusse? Und machen mehr Mittel die Bundesliga wirklich attraktiver?

Die nun endende Bundesligasaison war sicher nicht aufgrund des Geldes so faszinierend, und den besten Fußball Europas haben Dortmund, München, Frankfurt, Schalke, Stuttgart, Freiburg, Union Berlin oder Bochum auch nicht gespielt. Aber die Menschen sind seit Wochen elektrisiert. Der FC Bayern bietet ein bizarres Schauspiel der Orientierungslosigkeit, Dortmund bebt, Berlin staunt über Hertha BSC und noch mehr über Union, während ein paar Hunderttausend Schalker ein Frühjahr voller verrückter und oftmals beglückender Dramen hinter sich haben. Sollte man all das eintauschen wollen gegen eine erfolgreichere Champions- League-Saison von zwei, drei Spitzenklubs? Klar ist nur eins: Die nun aufflammende Spaltungsdebatte trägt nicht zum Unterhaltungswert der Bundesliga bei.

8 ;

Herzlich willkommen in der multimedialen Ausgabe der F.A.S. Lesen Sie alle Inhalte der Zeitung in moderner Gestaltung, erweitert um interaktive Inhalte wie Videos und opulente Storytellings.

Die komplette digitale Ausgabe der F.A.S.

3 Wochen kostenfrei testen