Die Entscheidung über die politische Zukunft in Bremen ist gefallen. Sie wurde nicht bei der Bürgerschaftswahl vor zwei Wochen getroffen, bei der lediglich die Kräfteverhältnisse innerhalb der Lager umverteilt wurden, sondern von Bürgermeister Andreas Bovenschulte: Setzt er weiter auf eine Zusammenarbeit mit Grünen und Linkspartei? Oder schwenkt er um auf eine große Koalition? Der SPD-Politiker hat sich für die Fortsetzung des Linksbündnisses entschieden.
Das entspricht den persönlichen Prägungen Bovenschultes, der dem Bremer Juso-Milieu der späten Achtzigerjahre entstammt. Der starke Mann der Bremer SPD ist allerdings weniger ein Gefangener seiner Biographie, sondern vor allem ein geschickter Taktiker und kühler Stratege. Bovenschulte hat sich die Entscheidung daher lange offengehalten, um seine starke Verhandlungsposition zu nutzen und den potentiellen Partnern Zugeständnisse abzutrotzen.
Dabei machten Grüne und Linkspartei auf den Bürgermeister offenkundig einen ähnlich erfreulich biegsamen Eindruck wie die geschmeidige Bremer CDU. Hinzu kommt, dass das Projekt Rot-Grün-Rot noch nicht auserzählt ist: Bovenschulte möchte das 2,5-Milliarden-Euro-Klimapaket bis 2027 mit den Partnern verausgaben, mit denen er es kurz vor der Wahl beschlossen hat. An den zusätzlichen Schulden stört sich in Bremen kaum jemand. Der Schuldenberg des Landes wäre in einem Negativszenario ohnehin außer Kontrolle.
Auf anderen Politikfeldern deuten die bisherigen Äußerungen darauf, dass das Linksbündnis einen Schritt nach rechts rückt. Bei der inneren Sicherheit, in der Verkehrspolitik oder in der Wirtschaftspolitik dürfte künftig ein pragmatischer Kurs nach dem Vorbild der niedersächsischen SPD verfolgt werden, den man stellenweise links-grün aufhübscht.
In der Bildung verspricht Bovenschulte ein Ende des „Weiter so“. Nur wie soll das funktionieren? Keine der Parteien rückt von ihrer bisherigen Grundlinie ab. Zudem ist die Bremer Bildungsmisere viel zu tief mit der schlechten sozialpolitischen Leistungsbilanz der Freien Hansestadt und ihren jahrzehntelang fortgesetzten Fehlern in der Migrations- und Integrationspolitik verwoben, als dass man sie mit mehr Lehrern oder frischen pädagogischen Ideen beheben könnte. Auch die „Zivilklausel“ der Bremer Hochschulen dürfte fortbestehen, die Rüstungsforschung untersagt. Das deutet eher auf „Weiter so“ statt Zeitenwende.
Die größte Gefahr für die SPD liegt in ihrer Abhängigkeit von der Beliebtheit Bovenschultes. Der gute Ruf des Bürgermeisters speist sich aus dem handwerklich gelungenen Pandemiemanagement durch den Bremer Senat, der in dieser Zeit allerdings auch viel Geld verteilen durfte. In der kommenden Legislaturperiode werden andere Themen im Vordergrund stehen, vermutlich unerfreuliche Kürzungsdebatten aufgrund fehlender Steuereinnahmen.
Ein echter Herausforderer Bovenschultes ist derzeit allerdings nicht in Sicht. Die CDU hat mit ihrem zahnlosen Wahlkampf einen Rückschritt gemacht, nachdem sie 2019 mit mehr Angriffslust erstmals die Bürgerschaftswahl gewann. Doch die Grünen hielten sich lieber weiter an die SPD. Schon damals war absehbar, dass das ein Fehler war. Denn die Grünen hätten die ewige Regierungspartei in die Opposition verbannen und dann ihre Netze in Behörden und Verbänden durchlöchern können. Und da die CDU mit dem Rathausschlüssel womöglich überfordert gewesen wäre, hätten die Grünen darauf spekulieren dürfen, bei der nächsten Wahl selbst dort einzuziehen. Das Potential dazu haben sie in Bremen. Aber zu solchem Machtkalkül ist die Partei nicht in der Lage, denn in ihren Reihen herrscht eine auf die SPD fixierte geistige Kindschaft vor.
Nun stecken die Grünen in der Klemme: Den Weg zur Mitte verstellt eine erstarkte Sozialdemokratie. Und auf der anderen Seite sitzt ihnen die Linkspartei im Pelz, die den Grünen in früheren Kerngebieten den Rang abläuft. Der zerstrittene Bundesverband der Linkspartei sollte sich darauf allerdings nichts einbilden. Denn das Lebenszeichen der Partei ist vor allem den beiden Senatorinnen vor Ort zu verdanken, die sich von Berliner Wirren gezielt fernhielten.
Spannung auf der anderen Seite des Spektrums verspricht die weitere Entwicklung der „Bürger in Wut“, die künftig als „Bündnis Deutschland“ in ganz Deutschland antreten wollen. In Bremen profitierte die Truppe des langjährigen Einzelkämpfers Jan Timke von der Nichtzulassung der zerrütteten AfD. Die entscheidende Frage lautet, ob es Timke gelingt, rechtsradikales Personal fernzuhalten. Der Wille dazu scheint zwar vorhanden. Die bisher bekannten Fälle sowie die Entwicklung der AfD zeigen aber auch deutlich die Schwierigkeit dieses Unterfangens. Die Türe für Querulanten und Extremisten braucht bloß kurzzeitig offen zu stehen, dann sind die Gegenmittel angesichts des deutschen Parteienrechts eng begrenzt.